Ich setze einen Schritt vor den anderen. Ich laufe mit, denn der Christopher Street Day in Berlin ist mehr also nur eine fahrende Party durch die Stadt, auch wenn es manchmal anders wirkt. Wie in jedem Jahr hat der Christopher Street Day ein Motto, eine Aussage, die Kern der Demonstration sein soll. In diesem Jahr kann ich mich mit dem Motto „normal ist anders“ nicht wirklich identifizieren. So provokant diese Aussage ist, so anmaßend ist sie auch. Denn das Motto unterstellt, dass alles anders ist, als es den Anschein hat. Und das trifft es meiner Meinung nach nicht. „Normal ist anders“ hebt all die schillernden Transsexuellen ins Licht, die laut, schräg, bunt und geschminkt die Demonstration mitgestalten. Leider ist dies alles, was bleibt, wenn in dem 20-Sekunden-Spot in den Nachrichten vom CSD in Berlin die Rede sein wird. Der „Normale“ wird im Fernsehen die bunt geschmückten Transsexuellen sehen und sich fragen: „Das also soll ’normal‘ sein?“. Niemand wird mich sehen. Denn ich bin der eigentliche „Normale“, der an dieser Demonstration teilnimmt, um die „Normalen“ wachzurütteln.

Während ich mir Gedanken über den Sinn dieser Veranstaltung mache, treffe ich alte Bekannte und Kollegen, aber auch Freunde, von denen ich schon lange nichts mehr gehört habe. Küßchen hier – Küßchen da. Sehen und gesehen werden, scheint das eigentliche Motto des CSD in Berlin zu sein. Oberflächlich ist das – und vergänglich. Verbindlichkeiten sind auf dem CSD fehl am Platz.

[singlepic id=687 w=320 h=240 float=right]Ich fotografiere all die Normalen aber auch die Transsexuellen, die auf den ersten Blick lächelnd in die Kamera blicken, denen man auf den zweiten Blick jedoch ansieht, dass da so viel Glück und Freude garnicht ist. Hinter der dicken Fassade, stecken zerbrechliche Wesen, die um ihren Platz in der Gesellschaft kämpfen – auf ihre Art. Elroy ist einer davon. Ihn – nein, Sie – sehe ich alljährlich auf diversen Veranstaltungen dieser Art. Wir kennen uns, scheinbar, denn mehr als den Namen und das Gesicht haben wir voneinander noch nie gesehen.

Nachdem ich mit reichlich Alkohol im Blut und in Gesellschaft einiger Bekannter schließlich das Brandenburger Tor erreiche, tun mir die Füße weh. Ich möchte nachhause, sage dies aber niemandem, da die Verabredungen für die Abschlussparties bereits in vollem Gange sind. „Ob wir uns heute Abend auf der Dachterasse wiedersehen?“, werde ich gefragt. „Mal schauen.“, antworte ich. Darin steckt ein höflich formuliertes: „Nein.“.

Was bleibt ist der schale Eindruck, den ich in jedem Jahr habe: Ich war dabei, ich habe etwas für meine eigene Sichtbarkeit in dieser Gesellschaft getan. Neugierige Blicke neugieriger Passanten und Touristen habe ich geerntet. Vielleicht habe ich doch einige davon überzeugen können, dass „normal“ eben auch „normal“ ist – mit einem Funken Andersartigkeit. Vielleicht habe ich Ängste abbauen und Verständnis schaffen können, denn letztlich will ich nur akzeptiert und nicht „anders“ behandelt werden.

Letztlich bin ich „ich“, kein Klischee, keine Schubladen, viel Spaß, viel Lachen, immer einen lockeren Spruch auf Lager und eigentlich „normal“ – nicht „anders“.

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