Nach der spannenden Dubliner Nacht kommen wir nur schwer aus unseren Betten. Nach einem sehr langen und langsamen Frühstück entschließen wir uns an unserem letzten vollen Tag in Irland, Burgen rund um Dublin zu suchen und zu fotografieren. Wie schon berichtet, ist die Innenstadt von Dublin nicht unendlich fotogen, so dass wir darauf bauen, außerhalb von Dublin eher auf unsere Kosten zu kommen. Die “Castle Road” unseres Reiseführers klingt sehr vielversprechend.

Also brechen wir auf und wühlen uns fast eine Stunde lang bei Regen durch den Verkehr in Dublin. Angekommen in der Castle Road sind wir enttäuscht: Die Iren verstecken ihre Burgen, oder sie sind in Privatbesitz. Schließlich können wir auf das feudale Anwesen einer Burg fahren, und wundern uns etwas, als wir auf einen größeren Parkplatz geraten. Um uns herum packen alte Leute ihre Golftaschen aus dicken Autos und packen ihr Equipment auf Rollen, um die über den Rasen zu schieben. Und tatsächlich: Wir sind in einem Golfclub gelandet, in dessen Zentrum eine der vielen irischen Burgen steht.

So herb enttäuscht, entschließen wir uns dazu, ein neues Touristenziel anzusteuern: ein altes Dubliner Gefängnis, das: Kilmainham Gaol. Im noch immer strömenden Regen stellen wir uns brav außerhalb des Gefängnisses an. 6 Euro müssen wir zahlen, um an einer der 30-minütigen Führungen teilnehmen zu können. Ein stolzer Preis für eine so kurze Führung. Mit harscher Stimme werden wir etwa zwei Minuten nach Ticketkauf darauf aufmerksam gemacht, dass wir mit unserer Anwesenheit einen Fluchtweg versperren und doch bitte woanders hingehen sollen.

Andreas und ich schauen uns kurz an, rollen innerlich die Augen und rücken ein paar Meter zur Seite.

Als die englischsprachige Führung beginnt, haben wir unsere Stative bereits vormontiert und die Kameras eingestellt, so dass diese auch in dunkler Umgebung Panoramen machen können. Das hindert den Touristenführer jedoch nicht daran, uns nochmals und in sehr entschiedenem Tonfall darauf aufmerksam zu machen, dass er “das Verlassen des Gruppenverbandes nicht akzeptieren kann”. Wir nehmen das hin. Nicken fleißig. Wir wollen keinen Stress. Wir sind im Urlaub. “Yes, Sir!”, denken wir wohl alle innerlich.

30-40 Touristen schieben sich auf diese Weise durch das Kilmainham Gaol Gefängnis. Ab und zu stellen wir leise unsere Stative auf. Klicken. Justieren. Suchen. Rücken. Dem Touristenführer ist das zu viel: “Ich habe euch bereits darauf aufmerksam gemacht, die Gruppe nicht zu verlassen. Ich kann euer Verhalten nicht akzeptieren. Wir werden nicht auf euch warten.”, ruft er uns durch die Gänge zu den Verliesen hinterher, einen Schlüssel in der Hand und ein Funkgerät am Gürtel. In seinem blauen Pullover und der schwarzen Bundfaltenhose strahlt er Souveränität aus – glaubt er.

Wir werden noch ein weiteres Mal von ihm “angepfiffen”. Ob dies zum Konzept dieser Führung gehöre, fragen wir uns. Wir kommen jedoch zu dem Schluss, dass vor uns ein im Grunde armes Würstchen steht, das in der Schule immer verhauen wurde, und nun – im Job – Macht ausüben kann.

Mich macht so etwas wahnsinnig. Ja, richtiggehend wütend. Andreas meint noch, dass “der Typ hier doch ein Touristenführer ist, und kein Gefängniswärter”. Damit hat Andreas recht, und im Gehen beschließe ich, genau diesen Satz unserem Führer an den Kopf zu werfen.

Im Empfangsbereich des Kilmainham Gaol, neben ihm ein paar Kollegen, schaut er mir in die Augen.
“Sie sollten sich mal überlegen, in welchem Tonfall Sie hier mit den Touristen reden. Wir alle hier haben für die Führung bezahlt und befinden uns im Urlaub. Wir sind zahlende Touristen und erwarten einen Touristenführer, keinen Gefängniswärter.”, sage ich ihm.
Er sieht mich an, mit versteinerter Miene. Ich sehe, das saß. Ich drehe mich um und gehe. Mehr als diesen Blick des hilflosen Kevin, den ich mit ein paar Worten “ertappt” hatte, reichte mir.

(Er hieß übrigens wirklich Kevin!)

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