Lang ist es her, seit ich das letzte Mal einen Eintrag in dieses Forum geschrieben habe, Viel ist in der letzten Zeit passiert. Vor einem halben Jahr habe ich auf dieser Seite geschrieben, dass ich merke, wie schnell sich meine Welt verändert.

So richtig bewusst wird mir das erst seit einigen Wochen. Das große Staunen über Berlin ist der harten Realität und dem hektischen Alltag gewichen. Längst laufe ich nicht mehr wie ein Tourist durch diese Stadt, sondern laufe hektisch von A nach B. Manchmal habe ich den Eindruck, dass sich in Berlin die Uhren etwas schneller drehen. Beinahe alles kommt und geht im Vorübergehen. Zum ersten Mal wurde mir in den letzten Tagen bewusst, dass ich nicht mehr bei meinen Freunden in Dresden bin, schon längst nicht mehr in meinem alten Zuhause in Leipzig. Ich merke, dass es kein Zurück mehr gibt. Mir fehlen das doch unbeschwerte Leben, die lockeren Treffen und die gemütlichen Grillabende mit Freunden in Dresden. Jetzt sitze ich hier und will doch manchmal weg. Es ist nicht so, dass ich die Flucht ergreifen würde, wenn ich könnte. Berlin als eine Station im Leben ist gut. Berlin für immer, das muss nicht sein. Noch immer fühle ich mich manchmal wie „der kleine Timm in der großen Stadt“.

Doch in den letzten Tagen ist noch viel mehr in der Welt passiert, was wohl an keinem spurlos vorübergegangen es. Ist der eine Papst gegangen, kam dafür ein anderer. Weinten viele Menschen auf dieser Welt Karol Wojtila noch Tränen nach, kritisieren andere den neuen alten Papst auf’s schärfste – zu Recht, wie ich denke.

Ich kann nicht behaupten, dass ich ein streng gläubiger Mensch bin. Zu oft habe ich Hilfe gebraucht und doch keine bekommen. Viel zu oft hätte ich mir jemanden gewünscht, der meine Ängste und Sorgen mit mir trägt. Doch so sehr ich auch glaubte und hoffte da wäre jemand, getragen habe ich meine „Lasten“ doch immer selbst und stehe da, wo ich nun bin. Ich halte nicht viel von einer Kirche, die ihren Gläubigen vorschreiben möchte, wie sie zu leben hat. Mich schockiert, in welchem Prunk die Kardinäle und der Papst im Vatikan leben (ja, man kann gern mal auf das Vorschaubild dieser News gucken). Kritisch höre ich hin, wenn sie Wasser predigen und Wein trinken.

Die Wahl des neuen kirchlichen Oberhauptes hatte schon längst nichts mehr damit zutun, einen würdigen Nachfolger mit einem „direkten Draht nach oben“ zu finden. Macht und Medien kontrollierten die Papstwahl. Ein Medienspektakel war es, als der Kamin der Sixtinischen Kapelle in Rom plötzlich weißen Rauch ausstieß. Hunderte Kameras waren darauf gerichtet, denn alle wollten wissen: Haben die 115 Kardinäle einen Nachfolger gefunden? Sie hatten – einen Deutschen aus dem konservativen Bayern. Ein Bayer auf dem Papstthron, der vor über 20 Jahren nach Rom gegangen war und nur selten zurückschaute, um zu sehen woher er kam. Ein Konservativer sitzt da, der nichts von Verhütung wissen will, gleichzeitig jedoch nicht im Stande fühlt, etwas gegen AIDS zu tun. Schaut man sich die Zahl der Katholiken in Afrika, Südamerika und Asien an, sieht man, dass dort die meisten Gläubigen sitzen. Sie sitzen in den Ländern, in denen Kinder verhungern und Menschen an AIDS sterben. Ist das nicht ironisch? Der Papst sitzt auf seinem güldenen Thron und schaut weg, anstatt für genau diese Menschen da zu sein.

Ich erwarte nicht, dass der Papst jedem persönlich die Hand schüttelt. Wenn man aber bedenkt, dass der Heilige Gral aus Holz war, im Vatikan aber ausschließlich goldene Kelche stehen, dann wünscht man sich doch, dass der Papst und damit die katholische Kirche nicht nur Wasser predigt, sondern auch Wasser trinkt. Doch das wird sie nicht tun, das hat sie nie getan.

Vor knapp zwei Wochen befand ich mich auf dem Weg von Leipzig nach Berlin. Der ICE, in den ich stieg war brechend voll. Ich hatte einen Fensterplatz. Was für ein Glück. Neben mir nahm ein etwas älterer Mann platz. Er hatte sehr dunkle Kleidung an, man hätte meinen können, er müsste auf eine Beerdigung. Als der Zug den Bahnhof verließ und jeder im Wagen sein Buch für die Fahrt herauskramte, wurde mir so einiges klar: Der Mann neben mir musste ein Pfarrer sein. Nachdem er argwöhnisch auf meinen Krimi schaute und mich mit seinen Blicken durchlöcherte, reichte ich ihm den kleinen Finger und fing ein Gespräch mit ihm an. Er nahm sich die ganze Hand und hatte sich für die 1 ½ Stunden Fahrt fest vorgenommen, mich von seinem festen Glauben an Gott und die katholische Kirche zu überzeugen.

Er war nicht nur Pfarrer, er war Priester. Stolz holte er den Rosenkranz aus seiner Hemdtasche, die ihm Papst Johannes Paul der II. persönlich übergeben hatte. Er erzählte mir davon, wie beeindruckend der Papst betete, welch eine wundersame Aura sich um diesen Menschen befand.

Er erzählte mir, dass er nach Leipzig gekommen war, weil dort die Taufrate neben Prag die niedrigste in ganz Europa sei. Bei 2 Prozent liege sie. Eine kritische Bemerkung darüber verkniff ich mir, obwohl ich zu manchen Zeitpunkten innerlich brodelte.

Da saß er also neben mir, erzählte von seiner Zeit in Paris, seinen Erfahrungen im Vatikan und seinen Erkenntnissen in Leipzig. Er erläuterte mir die Theologie des Paulus, ein Buch, das er gerade las. Und ich? Ich konnte nirgendwo hin. Tief im Sitz versunken saß ich, nirgendwo konnte ich hin, verprellen wollte ich ihn auch nicht. Also blieb mir nichts anderes übrig, als ihm zuzuhören.

1 ½ Stunden später verließ ich erleichtert den ICE. Der Priester war mir nicht unangenehm, aber ähnlich wie Papst Benedikt der XVI. lebte er in seiner eigenen Welt, fernab der harten Realität.