So richtig kann man von Routine nicht sprechen, auch wenn der alljährlich stattfindende CSD in Berlin schon längst zum Pflichtprogramm in meinem Sommer geworden ist. Wie in jedem Jahr, wurde es auch gestern laut, bunt, lustig und schrill.

Ich habe immer den Eindruck, dass der CSD in Berlin für einige soetwas ist, wie eine Blume, die nur einen Tag lang blüht, und die Welt dadurch ein ganzes Stück bunter macht. Denn nur so kann ich mir erklären, dass man all die ausgefallenen Kostüme, schrägen Persönlichkeiten und geschminkten Gesichter sonst nicht sieht. Ich habe den Eindruck, dass die schrägsten der Schrägen während des CSD’s alles geben und am Tag danach in eine Art Tiefschlaf fallen, um ausgeruht im nächsten Jahr aufzuwachen.

Auch wenn die schrillen „bunten Vögel“ auffallen, die meisten der Demonstranten haben keinen Faible für Lippenstift, Rouge und Netzstrumpfhosen. Die Meisten fallen im Alltag überhaupt nicht auf. Es ist klar, dass sich die Kameraleute der Fernsehsender nur auf die Bunten richten, um so zu einem interessanten, farbenfrohen Bericht zu kommen. Doch genau diese Berichterstattung verzerrt das Bild der Schwulen – leider. So schön die Transen, Tucken und Schwuppen auch sind, mit der Wirklichkeit und dem Alltag der schwulen Welt in Berlin hat dies nichts gemein.

Vielleicht aber braucht die Welt auch mal einen „bunten Tag“, einen Tag, um auf all jene aufmerksam zu machen, die sich sonst eher unauffällig kleiden. So vermutet niemand hinter einem Autoverkäufer oder Bankangestellten einen farbenfrohen Transsexuellen, der zum CSD in Berlin mit farbenfrohem Outfit seinen Hüftschwung auf dem Kuh’damm übt.

Und – Muß man das denn wissen? Sollte es mich interessieren, ob der Schaffner im ICE, in dem ich regelmäßig fahre, privat in Lack&Leder durch die Welt geht?

Meine klare Antwort: Nein. Aber man sollte ihn respektieren, dafür, dass er einmal im Jahr den Mut aufbringt, seine Andersartigkeit ganz offen auszuleben. Man sollte ihn auch akzeptieren, denn so unvorstellbar es für einen selbst ist, so zu leben: Er, der Schaffner, der Bankanstellte und der Autoverkäufer, haben einen Weg gefunden, glücklich zu sein.

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