Was schreibt man über ein Buch, das einen fesselte, solange man es las, das einen aber auch unfähig macht, die richtigen Worte zu finden, um zu beschreiben, wie man das Gelesene erlebt hat? Vielleicht ist das der beste Anfang, wenn mich jemand darum bitten würde, ihm zu beschreiben, worum es in diesem Buch geht.

„Lesezeit wird bei Mercier zu etwas sehr Kostbarem: zu einer reichen, erfüllten Lebenszeit.“

Gregorius, die Hauptfigur des Buches und ein Lehrer in einer Schweizer Schule, beschließt, nach einer ganz merkwürdigen Begegnung mit einer Portugiesin im strömenden Regen auf einer Brücke in Bern, sein Leben von Grund auf zu ändern. Sein bisheriges Leben verlief immer gleich. Er wurde als der zuverlässige Langweiler wahrgenommen, den man zwar für sein umfangreiches Wissen im Hebräischen und Griechischen zu schätzen wußte, an dem man darüber hinaus aber kein großes Interesse zu haben schien.

Die Portugiesin auf der Brücke bringt ihn dann dazu, sich mit dem Portugiesischen näher zu beschäftigen. So fällt ihm neben einem Sprachkurs auch ein Buch von Amadeu de Prado in die Hände, das ihn bereits im Verlauf der ersten Zeilen fesselt.

Ab diesem Augenblick liest man als Leser des Buches nun zwei Bücher. Das des Autoren Pascal Merciers: Nachtzug nach Lissabon. Und das Buch von Amadeu de Prado. Allerdings treibt Gregorius, die Hauptfigur des „Nachtzugs nach Lissabon“, das Buch von Amadeu de Prado und führt so durch die Geschichte Portugals.

Amadeu de Prado, ein hoch begabtes Kind, Arzt und Widerstandskämpfer unter dem Regime von Salatzar in Portugal schreibt in seinem Buch, das zu seinen Lebzeiten niemals veröffentlicht worden ist, über die Liebe, Hass, Abenteuer, Zwänge, Glaube, Faszination und viele andere innere Beweggründe, die einen Menschen veranlassen, so zu handeln, wie er handelt.

Das Buch von Amadeu de Prado ist zutiefst philosophisch, bleibt aber immer gut lesbar und in jeder Zeile verständlich. Das ist – ganz allgemein – in der Literatur leider nicht immer so. Die Begeisterung, mich mit „Sophies Welt“ zu beschäftigen, lies vor einigen Jahren merklich nach.

Etwas kitschig ist jedoch der Schluss des Buches. Amadeu de Prado starb im wirklichen Leben durch ein Blutgerinnsel im Kopf. Auch die Hauptfigur des Buches – Gregorius – erleidet am Schluss des Buches Wahnzustände und verliert häufiger sein Bewußtsein. Der Schluss auf einen Tumor oder ein Gerinnsel wird dem Leser förmlich in den Mund gelegt. Das wirkt sehr konstruiert. Auch ohne dieses Konstrukt kann der Leser spühren, dass Pascal Mercier, der übrigens Philosophie-Professor an der FU Berlin ist, die Figur Gregorius mit dem Leben des Amadeu de Prado auf diese Art verbinden möchte. Interessant ist auch, dass der Name Pascal Mercier übrigens ein Pseudonym ist. Mehr dazu kann man auf der Wikipedia-Seite von Peter Bieri nachlesen.

Trotz dieser Einschränkung kann ich dieses Buch nur empfehlen. Es ist tiefgründig, gut zu lesen, sehr unterhaltsam, und ein Buch, dass man in einigen Jahren vielleicht doch noch ein zweites Mal aus dem Schrank nimmt, um es zu lesen.

Aus dem Buch: Lautloser Adel

„Es ist ein Irrtum zu glauben, die entscheidenden Momente eines Lebens, in denen sich seine gewohnte Richtung für immer ändert, müssten von lauter und greller Dramatik sein, unterspült von heftigen inneren Aufwallungen. Das ist ein kitschiges Märchen, das saufende Journalisten, blitzlichtsüchtige Filmemacher und Schriftsteller, in denen Köpfen es aussieht wie in einem Boulevardblatt, in die Welt gesetzt haben. In Wahrheit ist die Dramatik einer lebensbestimmenden Erfahrung oft von unglaublich leiser Art. Sie ist dem Knall, der Stichflamme und dem Vulkanausbruch so wenig verwandt, dass die Erfahrung im Augenblick, wo sie gemacht wird, oft gar nicht bemerkt wird. Wenn sie ihre revolutionäre Wirkung entfaltet und dafür sorgt, dass ein Leben in ein ganz neues Licht getaucht wird und eine vollkommen neue Melodie bekommt, so tut sie das lautlos, und in dieser wundervollen Lautlosigkeit liegt ihr besonderer Adel.

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