Der Weg von Las Vegas in den Yosemite National Park sollte – so war mein Plan – einer der schönsten Strecken der USA-Durchquerung werden. Doch manchmal bleiben Pläne einfach nur Pläne, und die Realität holt einen, knallhart und unvermittelt ein. Dass aber auch das schön sein kann, zeigt dieser Beitrag.
Der Weg von Las Vegas in den Yosemite National Park war entlang von einer Landstraße durch die Sierra Nevada geplant. Die Strecke war nicht besonders lang, führte am Death Valley vorbei und sollte alle Klimazonen beinhalten. Ich freute mich also sehr, als wir nach dem etwas enttäuschendem Fazit, Las Vegas den Rücken kehrten.
Zunächst führte uns die Strecke durch eine unglaublich trockene Gegend. Links des Straßenrands befand sich ein mit Stacheldraht gesäumtes Umerziehungslager für straffällige Jugendliche. Rechts des Straßenrandes befand sich ein so großes militärisches Sperrgebiet, dass ich mich nur kurz wunderte, als ich eine unbemannte Drohne am Himmel ihre Kreise fliegen sah. Auf dem Boden befanden sich allerlei Drohnen, Funkmasten, militärische Fahrzeuge und immer wieder der Hinweis, dass man an einem Sperrgebiet vorbeifährt und bloß nicht anhalten soll.
Auch wenn ich ein paar Bilder der Drohne gemacht habe, halte ich mich schön zurück, diese hier zu veröffentlichen. Denn ich bin ein absoluter Laie, und auch wenn ich einen “Erlkönig der Lüfte” fotografiert habe, hält sich meine Lust auf Schwierigkeiten mit dem US-Militär sehr stark in Grenzen.
Da ich mich dennoch über das riesige militärisch genutzte Areal wunderte, erkundigte ich mich später danach, woran wir eigentlich vorbeigefahren sind. Die Story ist echt interessant:
Wenn die USA einen Krieg irgendwo auf der Welt plante, dann suchte sie sich eine geografische Region im eigenen Heimatland, das in etwa dem Klima im zukünftigen Kriegsgebiet entsprach. Dort wurden dann vor allem die Bodentruppen auf ihre Missionen vorbereitet. Und nun kommt’s: angeblich sind wir an dem Territorium vorbeigefahren, in dem sich die US-Militärs auf den Afghanistaneinsatz vorbereitet haben.
Nicht weit von diesem Areal – auf schnurgeraden Straßen in Richtung Horizont – gab es eine Abzweigung zum Death Valley. Diese Route stand zwar nicht auf dem Plan, aber mit Blick auf die recht öde verlaufende Route, die uns scheinbar noch bevor stand, entschieden wir uns dann doch – spontan – das Tal des Todes zu durchqueren.
Dort jedoch angekommen, wanden sich die Straßen in tausend Schnörkeln um etliche Felsen. Bald kamen wir nur noch mit maximal dreißig Kilometern pro Stunde vorwärts. Als dann auch noch die Temperaturen die 40 Grad-Marke überschritten und die Ankunftszeit in unseren Navigationsgeräten stetig stieg, entschieden wir uns dann doch dazu, umzukehren. Auch wenn die Neugier kurzerhand die Oberhand gewinnen konnte, siegte dann doch die Vernunft, und mit etwa zweistündiger Verspätung bogen wir wieder ein, auf die Route, die uns noch vor uns lag.
Um die Mittagszeit suchten wir mit unseren Navigationsgeräten einen Ort, um Mittag zu essen. So eine aufwendige Planung ist notwendig, weil es in der Wüste, durch die wir fuhren, in einer Entfernung von 70 Kilometern buchstäblich nichts gab. Was wir dann aber fanden, war so überraschend spektakulär, dass ich in einem separaten Eintrag darüber berichten werde.
Unmerklich, doch unaufhörlich, kletterten wir in die Höhe. Auch wenn die Straße stetig geradeaus führte, nahmen die Temperaturen, je näher wir uns der Sierra Nevada näherten, unaufhörlich ab. Das Land wurde grüner, war aber genauso spärlich bevölkert, wie die Wüste bei der Militärbasis und dem Jugendcamp. Auf etwa 2000 Metern angekommen, wo die Temperaturen nur noch einstellig waren, machten wir kurz Halt und bekamen einen regelrechten Klimaschock, als wir ausstiegen aus unseren Fahrzeugen. Eiskalter Wind blies uns um die Ohren. Schmelzwasserseen um uns herum und endlose Nadelwälder gaben uns ganz eindeutig zu verstehen: Wir hatten innerhalb kürzester Zeit die Klimazonen vollkommen ausgetauscht.
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Die Route, die zu diesem späten Nachmittag noch vor uns lag, war etwa 150 Kilometer lang und sollte uns über einen Bergpass direkt zum Hotel im Yosemite Park führen. Also stiegen wir mit der freudigen Erwartung in unsere Fahrzeuge, in einem Naturreservat zu übernachten.
Je näher wir der letzten Etappe, dem Bergpass, kamen, desto kühler wurde es. Als schließlich der erste las, dass ein “pass closed” sei, glaubten wir noch an nichts böses, denn immerhin leitete uns unser Navigationsgerät nur entlang von Routen, die weder gesperrt waren noch dichten Verkehr aufwiesen. Minuten später wurde uns aber klar, dass sich auch die beste Technik aus Wolfsburg täuschen konnte, denn exakt vor dem Pass, den wir überqueren mussten, stand ein Schild. “pass closed”. Schnell und eifrig waren wir dabei, Alternativrouten zu planen. Diese führten aber einmal komplett um den Yosemite Park herum, waren 600 Meilen lang und zu so später Stunde, nicht mehr realisierbar. Mit einer Haltung “So schlimm kann’s ja garnicht sein!”, spazierten Jan und ich schließlich in ein Restaurant hinein.
Hinter dem Tresen stand ein Verkäufer vom Typ “Surferboy aus den Bergen sucht Fotoshoot in der Karibik”. Auch wenn wir ihn auf Englisch ansprachen, erkannte er meinen deutschen Dialekt sofort.
Ich fragte: “Warum ist denn der Bergpass nicht passierbar?” (Ich rechnete mit etwas Raureif auf der Straße oder einigen Steinen auf der Straße.)
Er antwortete: “Dort liegen 13 bis 14 Meter Schnee. Der Pass ist unpassierbar. Tut mir leid.”
Jan prustete heraus: “Meter!? 13 bis 14 Meter!?”
Diese Frage quittierte der Surferboy mit Ohrenschmuck aus Holz nur mit einem netten Lächeln und bot uns – gratis – Kaffee an. Wir taten ihm wohl irgendwie leid. Ich tat mir auch leid, hatte ich die ganze Gruppte doch in ein ziemliches Schlamassel gebracht.
Filterkaffee schlürfend war der Plan, das Reisebüro zu informieren, dass wir das geplante Hotel im Yosemite Park wohl nicht erreichen würden. Der Plan war außerdem, uns vom Reisebüro eine Unterkunft in der Nähe des Ortes, an dem wir gerade waren, buchen zu lassen. Ein netter Plan. Nur leider war er wegen dem fehlenden Handyempfang nicht umsetzbar. So langsam wurde mir kribbelig. Die einzige Lösung – so merkwürdig das aus klang – bestand darin, so lange rumzufahren, bis wir ein Motel fanden, in dem wir übernachten konnten. Und genau das taten wir dann auch.
Zum Glück befand sich unweit des Restaurants ein Ort, der sich “Lee Vining” nannte. Ein Ort, wie man sich ein amerikanisches verschlafenes Bergdorf vorstellt: eine Hauptstraße am See, Berge hinter einem, Wolken über einem, eine Schrotflinte immer dabei (wegen der Grizzlybären) und eine Bürgermeisterin im Faltenrock. Alle Einwohner waren zutiefst entspannt, freundlich, höflich, aber irgendwie auch etwas eigensinnig. Es waren nur sehr wenige Einwohner, die wir sahen, aber all diese erfüllten genau das Klischee, passten genau in die Schublade, die ich für sie geöffnet hatte.
Umso mehr staunten wir nicht schlecht, als vor der Einfahrt unseres Motels ein schätzungsweise 40 Jahre alter Ford Pickup von zwei Streifenwagen angehalten wurde. Der Fahrer wurde vor unseren Augen durchsucht, festgenommen und abtransportiert. Der Ford wurde intensiv durchsucht, und Michael, Thorsten, Jan und ich beobachteten das durch die halb geöffneten Gardinen, die an dem Empfangsraum unseres Motels (treffenderweise die “Lake View Lodge”) angebracht waren. So verschlafen, wir dachten, war dieses Dorf dann wohl doch nicht.
Der Abend klang dann aber doch sehr fröhlich, urig und vielleicht so amerikanisch wie sonst nirgendwo in einem “Booth” (den U-förmigen Sitzcouches aus rotem Kunstleder) mit einem kühlen Bierchen und netten Gesprächen aus.