Kurz nach 19 Uhr am Abend treffe ich mich mit Paul und Gabrielle im “The Wine Room” im Zentrum Orlandos. Tausende Weinflaschen stehen um uns herum. 150 davon können verkostet werden. Doch diese Bar ist für uns nur Treffpunkt und der Start in eine informative, ereignisreiche Nacht.

Paul ist Vice President of Marketing in Orlando, schwul und seit 30 Jahren in einer festen Beziehung. In wenigen Wochen läuten die Hochzeitsglocken, jedoch außerhalb Floridas, da die gleichgeschlechtliche Ehe in Florida verboten ist. Paul klärt mich darüber auf, dass es in nur 14 Bundesstaaten Amerikas möglich ist, gleichgeschlechtlich zu heiraten. Hat man diese Hürde jedoch genommen, müssen alle Bundesstaaten der USA die Ehe anzuerkennen. In Orlando engagiert er sich für die LGBT Gruppen und möchte Orlando ein Stück attraktiver für die Schwulen und Lesben aus der ganzen Welt machen.

“Ob ich es nicht merkwürdig fand, nach Orlando zu kommen, wo Miami doch viel offensichtlicher für Toleranz und Attraktivität in der LGBT-Community wirbt.”, werde ich von Paul gefragt. Ich antworte ihm ehrlich: “Darüber hatte ich noch nicht nachgedacht.” Doch Paul klärt mich auf und begründet die Attraktivität von Orlando für die LGBT-Community mit den vielen Vergnügungsparks. 57 Millionen Besucher finden alljährlich ihren Weg nach Orlando. 4 bis 7 Prozent davon sind homosexuell. Es gibt zahlreiche Direktflüge aus aller Welt nach Orlando, und Hotels sind – verglichen mit Miami – deutlich billiger. 64.000 Mitarbeiter arbeiten allein in Disneyland. Und mit hoch aufgerissenen Augenbrauen erklärt mir Paul, dass niemand genau wisse, wie hoch die Quote der Homosexuellen hier ist. “Aber deutlich höher als in anderen Firmen.”, sagt er mir mit einem Lächeln im Gesicht.

Gabby engagiert sich ebenfalls für die LBGT-Community in Orlando und ist professionelle Barkeeperin in den Szenebars Orlandos. Ihre Freundin blieb zuhause. Gabby ist lesbisch, sieht toll aus und weiß ihre Reize gekonnt einzusetzen. Nach einem sehr leckeren Essen im The Fresh Café, das nur wenige Blocks vom “The Wine Room” entfernt liegt, nimmt mich Gabby mit auf eine Clubtour durch Orlando.

DSCF0800Erste Halt: das Savoy. Von außen sieht man es dem etwas runter-gerockten Schuppen nicht an, dass sich hinter den schwarzen Scheiben eine Diskothek verbirgt. Dennoch gehen wir hinein. Verstohlenen Blickes werden wir gemustert. Schnell nehmen wir Platz an einer der beiden Bars mit zwanzig Meter langem Tresen. Auf ihm räkelt sich ein Junge und tanzt zur Musik um Club. Erst auf den zweiten Blick sehe ich, dass einige Dollars in dem Bund seiner Tanks stecken. Er bekommt diese für’s Tanzen. In mir steigen Erinnerungen an einen Junggesellenabschied auf der Oranienburger Straße in Berlin hoch. “Dollhouse-Dollars” wurden dort den leicht bekleideten Frauen zugesteckt. Hier, mitten in Orlando, sind es echte Dollars, die man den Jungs in die Hose steckt.

Von Jung bis Alt tummelt sich alles in der Bar, doch die Blicke sind klar prüfend. Gabby ist bekannt wie ein bunter Hund, doch ich bin es nicht. Ich bin quasi “Frischfleisch” und werde mit vielsagenden Blicken gemustert. Dank den Kontakten von Gabby darf ich überall Fotos machen. Bereitwillig übt einer der blondierten Jungs seinen Handstand vor meiner Kamera.

DSCF0817Nächster Stopp: The Hammered Lamb, eine Bar mit einem sehr interessanten Konzept: Spanne ein Dach über zwei angrenzende Häuser, hänge ein paar Lichterketten und Flachbildschirme an die Wände, spiele laute Musik und fertig ist eine wahnsinnig entspannte Bar. Traf man im Savoy noch ausschließlich auf Männer, tummeln sich hier Schwule und Lesben nebeneinander. Freundlich und entspannt ist die Atmosphäre. “Ich gehe hier hin, wenn ich einfach nur entspannen möchte und einen netten Cocktail brauche.”, sagt mir Gabby. Küsschen hier, Küsschen da, heißt dies für Gabby. Eifrig begrüßt sie ihre Freunde und stellt mich als Journalisten aus Deutschland vor, der über die schwul-lesbische Gemeinde in Orlando schreibt. Die Namen rauschen an mir vorüber: Zac, Mat, Lucas und Craig. Nett sind sie alle. Doch dies ist noch nicht unser letzter Club. Deshalb haben wir es dann doch etwas eilig, denn das Revolution wartet bereits.

Im Revolution werden wir bereits erwartet. Gabby kellnert hier von Zeit zu Zeit. Dies ist ihr Arbeitsplatz, entsprechend werden wir mit Getränken versorgt, und ich schüttele eine Menge Hände. Nachdem wir uns eine ruhigere Ecke gesucht haben, unterhalte ich mich mit Danny. Er ist der Besitzer des Clubs und erzählt mir, dass das Revolution bereits seit dreißig Jahren existiert. “Es ist eine Institution in Orlando und weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt. Es bietet eine Menge Floors, eine Theaterbühne, eine Menge Bars und Showeinlagen beim Cocktailmixen.”, sagt er. Auch hier gibt es die jungen durchtrainierten Tänzer, die der Masse einheizen sollen. Auch ihnen hängen Dollars aus den Boxershorts, die eindeutig knapp sind. “Tip him.”, werde ich von Danny aufgefordert. Mit einem verführerisch professionellen Grinsen bedankt sich der junge Tänzer.

Gabby klärt mich nun über die “Club Kids” auf. Club Kids sind androgyne Jungs, die – weder Mann noch Frau – in abgefahrenem Outfit auf den Bühnen die Massen unterhalten. Frech und kaum um Worte verlegen werden sie gefeiert und legen ihre Performance hin. “Da kann es auch schon ‚mal sein, dass hier und da die Hüllen fallen.”, sagt sie. Wenig später stehe ich mit Gabby in der ersten Reihe als die Showeinlagen beginnen. Und tatsächlich: Richtig unterhaltsam sind sie, die “Club Kids”. Und auch wenn die Brüste flach und der Body nicht so durchtrainiert ist wie von den Tänzern um uns herum, werden die “Club Kids” gefeiert als gäbe es kein Morgen. “I wanna hear you scream’in!”, werden wir aufgefordert. Etwas gehemmt stehe ich in der ersten Reihe, jubele aber mit.

Nach den Auftritten und um einige zugesteckte Dollars leichter, verabschiede ich mich von Gabby und bedanke mich bei ihr für den tollen Einblick in die schwule Partylandschaft Orlandos. Sie wich nicht von meiner Seite und öffnete mir doch jede Tür, war sie auch noch so klein. Danke, Gabby.