Heute Abend habe ich im Fernsehen, auf dem Hessischen Rundfunk (HR) eine Reportage von Dennis gesehen, der mit seinem Fahrrad die Welt umrundet ist. Gestartet ist er in der Nähe von Frankfurt am Main. Von da aus ging es über Armenien und Iran nach Indien, weiter nach Indonesien und Australien, die USA und schlussendlich bis Brasilien.

Solche Filme wecken in mir immer wieder das Fernweh. Wenn man, so wie ich, in einem Job steckt, der einen von Montag bis Freitag an den Schreibtisch kettet, mit oft fraglichen Aufgaben, dann hinterfrage ich oft mein Leben, meine Arbeit, den Sinn des Lebens und die Definition vom Glücklichsein. Gift in meinem Kopf, mir solche Fragen zu stellen. Denn sie machen mich unzufrieden, hinterfragen Dinge, von denen ich glaube, sie nicht beeinflussen zu können. Sie lassen mich klein erscheinen, nicht mutig genug den Sprung ins kalte Wasser zu wagen. Ich frage mich dann oft, bezüglich meines eigenen Lebens: „Das ist es dann jetzt?“, oder „Wage ich erneut das große Abenteuer?“. Gift. Gedanken, die jeden der Zuschauer unzufrieden machen.

Steffen meinte dann ganz richtig, dass solche Filme derartige Abenteuer auch oft verklären. Sie stellen das Gefühl von Freiheit oft romantisch dar, lassen aber unbeantwortet, wie es nach der Ankunft in der Heimat nach einer solchen Reise weitergeht. Oft genug erscheint die eigene Welt, der Ort, in dem man lebt, die Freunde, die man hat, klein, unzureichend, engstirnig. Menschen, die auf eine solche Reise gegangen sind, finden dann oft schwer Halt im tatsächlichen Leben.

Tatsächlich kenne ich aus meinem beruflichen Umfeld auch einen solchen mutigen Weltenbummler: Andreas B. Andreas war mal Requirements Manager. Das ist ein ziemlicher Bürojob, in dem man die Anforderungen an ein technisches Gerät oder ein Softwaremodul von einer anfragenden Partei entgegennimmt und prüft, ob diese Anforderungen des Kunden umsetzbar sind. Im Alltag bedeutet das, mit vielen Excel-Tabellen und E-Mail zu hantieren, zahlreiche Abstimmungstermine zu koordinieren und nach dem Arbeitstag den Laptop zuzuklappen, und etwas ganz anderes zu tun.

Andreas war in dieser Welt neben der Arbeit ein leidenschaftlicher Segler. Deshalb besaß er auch ein zwölf Meter langes Segelboot, auf dem er im Frühjahr, Sommer und Herbst auf den Seen rund um Berlin zu finden war. Allerdings hatte er auch einen Segelschein für die offene See und beschloss im Jahr 2012 oder 2013, seinen Job als Requirements Manager für 6 Monate zu pausieren, und sich auf einen Segeltrip nach Australien zu begeben. Ich fragte ihn: „Warum ausgerechnet Australien?“, und er antwortet mir: „Weil mein Segelboot dort viel Geld wert ist, und den gesamten Trip der Weltumsegelung praktisch bezahlt. So gut, dass ich mir, zurück in Berlin, ein neues Boot davon kaufen kann.“

Und weg war er. Und er kam nicht wieder nach 6 Monaten, sondern erst nach einem ganzen Jahr. Er hatte sein Boot letztlich nicht in Australien verkauft, da er sein geliebtes Boot, dass ihn bis nach Amerika, die Karibik, den Suezkanal und über den gesamten Pazifik brachte, einfach nicht verkaufen konnte. Also entschloss er sich, nach sechs Monaten auf seinem Boot, die Weltumsegelung einfach komplett zu machen. Und so segelte er um Indien und Afrika, um letztlich nach einem ganzen Jahr zurück nach Deutschland zu kommen.

Woher ich das alles weiß? Andreas kam tatsächlich zurück in meine damalige Firma und veranstaltete ein 2-stündiges Meeting mit vielen Fotos, anhand derer er seine Weltumsegelung erklärte. Ich war damals ganz gefesselt, wie ich auf das Beamer-Bild an der Wand schaute und er über Gegenden berichtete, in denen die Fische auf sein Boot sprangen, und er für sein Mittagessen noch nicht einmal eine Angel auswerfen musste. Er erzählte von all den Bekanntschaften und Freundschaften, die er in dieser Zeit geschlossen hatte. Von den vielen Unbekannten, die er traf, und die ihm halfen, sich in all den Ländern zurechtzufinden, in denen er vor Anker ging. Er ließ sich Zeit für seine Reise und hatte so auch viele Geschichten im Gepäck, die weit über die Erlebnisse auf seinem Boot hinausgingen.

Er erzählte auch von einsamen Zeiten auf seinem Boot, in denen er wochenlang auf sich gestellt war. Über Zeiten während der Atlantiküberquerung, in denen er sich einen Kurzzeitwecker stellte, um alle 45 Minuten nach draußen zu sehen, um sicherzustellen, dass er nicht auf einem Kollisionskurs mit einem der vielen Tankerschiffe war. Und, wie er nach 5 Stunden Schlaf während der Atlantiküberquerung panisch aufwachte, weil er wegen totaler Übermüdung den Kurzzeitwecker nicht gehört hatte und Sorge hatte, auf einem solchen Kollisionskurs zu sein.

Er hatte noch viel mehr Geschichten im Gepäck, die mich faszinierten und dafür sorgten, dass nicht nur ich an seinen Lippen hingen. Doch ein spannender Aspekt von Andreas fehlt: Wie ging es mit ihm weiter?

Die Antwort ist spannend, und sicherlich wenig überraschend: Nach etwa einem halben Jahr zurück in der Welt des Requirements Managements kündigte er. Als ich ihn traf, um das Warum zu verstehen, stand er mir mit einem Outdoor-Outfit gegenüber und sagte mir, dass ihm diese Welt zu klein geworden ist, zu unbedeutend für sein Leben. Er konnte sich nicht mehr motivieren, den ganzen Tag in einen Bildschirm hineinzustürzen, um dort ein Blöckchen an ein anderes zu schieben, oder in Terminen zu sitzen, in denen ihm unbekannte Parteien über finanzielle Aspekte dieser oder jener Lösung zu diskutieren. „Was hast Du nun vor?“, fragte ich ihn damals. Und er meinte nur: „Ich gehe wieder auf mein Boot und erkunde die Welt.“ Ich bewunderte ihn damals für seinen Mut. Einen Mut, den ich nicht hatte (Gut, mir fehlten auch die Kenntnisse, so etwas wie er zu machen.) – noch heute nicht habe.

Die Geschichte von Andreas zeigt aber etwas Interessantes, das auch Dennis, den fahrradfahrenden Weltenbummler, ereilen wird: Die Welt vor der Reise ist zu klein für denjenigen, der von einer Weltreise zurückkommt.

Die große philosophische Frage ist dann: Ist das gut oder schlecht? Machen Andreas und Dennis etwas richtig, das ich falsch mache? Verpasse ich etwas?

Nachdem Steffen und ich den Film von Dennis zu Ende gesehen haben, diskutierten wir erneut das Thema „Sabbatical“, dieses neumodische Wort, das beschreibt, dass man dem Arbeitsalltag für ein paar Monate entflieht, um dann, zurück in der Heimat, wieder am Schreibtisch der Firma Platz zu nehmen. Drei Monate. Das ist das Zeitfenster, das wir uns mal geben wollen. Wann dieser Zeitpunkt jedoch ist, steht noch in den Sternen, weil zu viel in unseren aktuellen Jobs zu unsicher ist, um eine solche Entscheidung jetzt zu treffen.

Allerdings überlege ich auch, eine Abkürzung zu nehmen, sollte meine aktuelle Firma, und die Chancen dazu stehen unglücklicherweise nicht schlecht, mich kurzfristig auf finanziellen Gründen vor die Tür setzen. Dann nämlich würde ich meine Meilen, ironischerweise gesammelt auf unglaublich vielen Geschäftsreisen, auf den Kopf hauen und für eine Zeit einfach abhauen aus Berlin. Wünsche ich mir das? Eigentlich nicht. Wird es notwendig, in einem solchen Fall Abstand zu gewinnen? Ja, ganz sicher. Werde ich dann den Mut haben, genau diese Entscheidung zu treffen? Ich weiß es nicht.

Zwar bin ich dazu erzogen worden, mutig zu sein. Aber auch dazu, Risiken zu vermeiden. Was aber, wenn das Risiko schon längst da ist – die Entlassung – und ich in diesem Augenblick einfach nur damit umgehen muss?

Ohje. Viel zu viele Fragen. Die Zeit wird zeigen, was passiert.

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