Es gibt nur wenige Menschen, die mich mit dem was sie schreiben beeindrucken können. Einer schafft es jedoch auf eine ganz seltsame Weise, die ich selbst kaum erklären kann, immer wieder.

„Es ist nicht neu. Es ist nicht innovativ. Aber es ist keine Kopie. Jeder Mensch ist einzigartig und jedes Tagebuch damit auch. Lerne mich kennen. Sei dabei, wenn ich lache, weine oder mich ein Gedanke quält. Lies mit, wenn ich meine Meinung sage und sieh einen Menschen, der SeiDu mitgestaltet. Keine namenlose Gestalt ist hier, sondern ich.“

Er heißt Alexander Derno, studiert seit knapp zwei Jahren in Köln und schreibt. Er schreibt Tagebuch. Das tut er nicht nur in den eigenen vier Wänden. Er schreibt auch nicht in ein Buch, das er anschließend zusammenklappt und im Bücherschrank versteckt. Nein. Er schreibt im Internet, auf seine Internetseite.

www.seidu.de ist sein Projekt, mit dem er sich schon einige Nächte um die Ohren geschlagen hat, das ihm aber dennoch Spaß macht. Seidu.de ist ein schwul-lesbisches Jugendmagazin, das ganz ohne blinkende Werbebanner und Popup´s auskommt. Es ist seriös bis in den letzten Winkel und bedient kein einziges Klischee, das in den Medien so oft präsentiert wird.

Einer seiner letzten Tagebucheinträge hat mich besonders beeindruckt, weil es genau das beschreibt, was wohl jeder schon empfunden hat, wenn er im Internet mit jemand anderem auf der Welt gechattet hat, den er eigentlich gar nicht kannte.

Spiegel

Es gibt keinen Tag an dem ich nicht über das Internet staune und froh bin, dass es existiert. Natürlich ist es eine Art Sucht, aber vor allem eine Sucht nach Informationen und Kommunikation. Wo sonst hätte ich die Möglichkeiten Menschen aus aller Welt kennen zu lernen. Ich kann Teil ihres Lebens werden und sie ein Teil meines Lebens. Mit einer Webcam kann man sich beim Lernen oder sogar Essen beobachten. Ein bisschen komisch mag das sein, aber eine andere Möglichkeit hab ich nicht. Oder wie soll ich in einer Stunde oder weniger nach Brasilien oder Kanada?

Und so rede ich auf Englisch in einer Sprache, die nicht meine Muttersprache ist und lerne fast nebenbei neue Wörter und Wendungen. Ich merke wie ich immer fließender spreche und schnell auf reagieren kann, anstatt ins Wörterbuch zu gucken, das auch im Internet ist.

Auf der anderen Seite lasse ich Menschen an meinem Seelenleben Teil haben, indem ich das Tagebuch schreibe und veröffentliche. Heute wurde ich gefragt ob ich viel nachdenke und alles zerdenke, bevor ich im Tagebuch etwas schreibe. Über so was hätte ich nie nachgedacht, wenn es um das Tagebuch eines anderen ginge. Ich schreibe das, was mir gerade durch den Kopf geht. Ich denke beim Schreiben. Ich wunder mich wieviele sich mit mir beschäftigen, besser gesagt mit meinem Tagebuch oder meinen Texten in einer Internetcommunity. Es gibt Leute, die aus den Puzzleteilen ein Gesamtbild zusammen bauen wollen.

Sie wollen wissen wer dahinter steckt, was das für ein Mensch ist. Aber kennen sie sich denn selbst gut genug, um sich mit solch einer Frage zu beschäftigen? Und kaum habe ich mir diese Frage selbst gestellt, halte ich sie für blöde. Immerhin habe ich lange genau das gleiche gemacht, mache es eigentlich immer noch. Die Neugierde treibt einen oft dazu geheimnisvolle Menschen zu entschlüsseln. An sich ist jeder Mensch für mich geheimnisvoll. Manchmal ist es nicht offensichtlich, dass jemand interessant ist. Die selbstbewussten Menschen, die viel von sich erzählen und viel erlebt haben – und in Wirklichkeit nichts von sich preisgeben.

Manche Menschen sind wie diese Spiegel im Supermarkt oder bei der Polizei. Wenn du vorbeigehst oder einfach nur reinschaust, dann siehst du dich selbst, aber erst beim näheren Hinschauen, beim Wechsel des Blickwinkels und der Schärfe kannst du hindurch gucken. Auf einmal ist der Spiegel weg und du siehst Räume mit Menschen. Eine kleine Welt für sich, die sonst im Verborgenen liegt.

Im Internet ist das manchmal ganz ähnlich. Sicher gibt es die schönen oder weniger schönen Fotos, die Texte und Daten. Man unterhält sich ganz nett und dann war’s das. Aber manchmal muss man Fragen stellen, die jenseits von Hobby und Musikgeschmack liegen. Draußen würde ich nie einen Menschen nach einer halben Stunde fragen ob er glücklich ist oder welches seine größte Enttäuschung im Leben gewesen ist. Im Chat frage ich viel und direkt, wenn ich Lust habe. Die Menschen antworten. Sie haben sogar das Bedürfnis zu erzählen oder darüber sich Gedanken zu machen.

Natürlich ist es schöner Menschen im Angesicht kennen zu lernen, aber im Chat erfahre ich manche Dinge, die ich sonst nicht erfahren würde. Es ist leichter durch den Spiegel zu gucken, wenn man nur möchte.

Anmerkung:

Ohne eine Zustimmung von Alex hätte ich seinen Tagebucheintag nicht auf meine Seite stellen können. Deshalb an dieser Stelle ein dickes Danke nach Köln und viel Erfolg auch weiterhin mit www.seidu.de